Die Entscheidung G1/19 des Europäischen Patentamts zu Simulationsverfahren und Digitalpatenten wurde mit Spannung erwartet
Kernaussage der G1/19
Die gute Nachricht ist, dass computerimplementierte Simulationen in Europa nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind. Somit ist auch anzunehmen, dass so genannte Digitalpatente den Anforderungen des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) entsprechen. Es gibt Aspekte von computerimplementierten Simulationen, die nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer patentierbar sein könnten. Der Schlüsselfaktor wird aber in jedem Fall sein, ob die computerimplementierte Simulation eine „technische Wirkung“ aufweist. Die Große Beschwerdekammer hat zudem klargestellt, dass der bestehende COMVIK-Ansatz des EPA zur Beurteilung der Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen auch für simulationsartige Erfindungen gilt.
Hintergrund zu dem der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Fall
Die der G1/19 zugrundeliegende Patentanmeldung betrifft ein Simulationsverfahren, welches eine numerische Eingabe und eine numerische Ausgabe umfasst. Das Verfahren simuliert die Bewegung von Personen, z. B. in einem Durchgang eines Gebäudes. Die Schritte des Verfahrens zeichnen sich dadurch aus, dass sie menschliche Eigenschaften simulieren, wie z.B. die soziale Distanzierung innerhalb einer Menschenmenge und das Bewegen in Lücken einer Menschenmenge, wenn diese auftauchen. Somit sollen Gebäude bereits in der Planungsphase an zu erwartende Personenströme angepasst werden können.
Zusammenfassung der Aussagen der Entscheidung G1/19
Wie erwähnt wurde bestätigt, dass der etablierte Ansatz zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit von computerimplementierten Erfindungen, der „COMVIK-Ansatz”, auf computerimplementierte Simulationen anwendbar ist. Zudem wurden die weiteren Folgenden Punkte festgestellt:
- Feststellung, dass Merkmale einer Simulation nicht automatisch zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, nur weil die Simulation auf technischen Prinzipien beruht, die dem simulierten System zugrunde liegen.
- Bestätigung, dass die Merkmale einer Simulation, die zu einer weiteren technischen Wirkung führen (d. h. eine technische Wirkung, die über die normalen elektrischen Wechselwirkungen innerhalb des Computers, auf dem die Simulation implementiert ist, hinausgeht), als erfinderische Tätigkeit angesehen werden können;
- Bestätigung, dass technische Wirkungen innerhalb eines computerimplementierten Prozesses und am Eingang und Ausgang des Prozesses auftreten können;
- Bestätigung, dass „implizite” technische Wirkungen in Kombination mit einer nicht beanspruchten Vorrichtung oder einem nicht beanspruchten Verfahren außerhalb des Computers erzielt werden können, wenn die Ausgangsdaten des Computers technischer Natur sind;
- Kommentare, die den Stellenwert und die Nützlichkeit von T1227/05 (INFINEON) als Rechtsprechung schmälern; und
- Kommentare, die Unterschiede in der Praxis zwischen dem EPA und den Gerichten und nationalen Patentämtern in den europäischen Ländern aufzeigen.
Schlussfolgerung
Was bedeuten diese Feststellungen nun für Anmelder und Praktiker? Kurz gesagt, die Entscheidung bestätigt, dass alle computerimplementierten Erfindungen, einschließlich Simulationen, auf die gleiche Weise zu prüfen sind, nämlich nach dem COMVIK-Ansatz. Sie gibt den Anwendern auch eine präzise Anleitung, wie Beschreibungen für computerimplementierte Erfindungen zu verfassen sind. Die Entscheidung könnte auch dazu führen, dass noch einmal genauer untersucht wird, ob es zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen könnte, wenn dieselbe computerimplementierte Erfindung beim EPA und bei nationalen Patentämtern wie dem DPMA (Deutsches Patent- und Markenamt) geprüft wird.
Damit lässt sich sagen, dass eine Simulationserfindung wie alle computerimplementierten Erfindungen patentierbar sein könnte, aber nur, wenn sie direkt mit einem als technisch geltenden Effekt verbunden werden kann.
Die Entscheidung bestätigt, dass keine Gruppe von computerimplementierten Erfindungen grundsätzlich vom Patentschutz ausgeschlossen werden kann und dass computerimplementierte Simulationen keine privilegierte Stellung innerhalb der größeren Gruppe der computerimplementierten Erfindungen einnehmen. Dies legt nahe, dass alle computerimplementierten Erfindungen, einschließlich derjenigen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens, bei der Prüfung durch das EPA in gleicher Weise behandelt werden sollten. Somit kann auch geschlussfolgert werden, dass auch so gennannte Digitalpatente dem Patentschutz in Europa zugänglich sind, solange handwerkliche Besonderheiten beim Erstellen der Anmeldungsunterlagen berücksichtigt werden.
Aufgrund der großen Erfahrung von MSP beim Ausarbeiten von Anmeldungsunterlagen für computerimplementierte Erfindungen und so genannten Digitalpatenten, sind wir in der Lage, Ihre Ideen bestmöglich zu schützen. Gerne beraten wir Sie auch hinsichtlich Ihrer strategischen Aufstellung in Sachen Digitalpatente.
Christian Kröner