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BGH: Verteidigung eines Patents in der Berufungsinstanz im Patentnichtigkeitsverfahren mit geänderten Ansprüchen

Urteil vom 23. April 2020, X ZR 38/18 – Niederflurschienenfahrzeug

In der Vorinstanz vor dem Bundespatentgericht hat die Patentinhaberin den Anspruch 1 durch ein weiteres Merkmal eingeschränkt. Das Bundespatentgericht sah das hinzugefügte Merkmal jedoch als nicht ausreichend deutlich zur Erfindung gehörend offenbart an. Daher ließ es das Merkmal für die Beurteilung der Patentfähigkeit außen vor. Diese Ansicht teilte das Bundespatentgericht der Patentinhaberin in einem Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG mit.

Letztlich kam das Bundespatentgericht zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Gegen diese Entscheidung wehrte sich die Patentinhaberin mit einer Berufung zum Bundesgerichtshof. Dazu reichte die Patentinhaberin in der Berufungsinstanz erstmalig neue Patentansprüche ein. Diesbezüglich betont der BGH, dass gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents in geänderter Fassung in der Regel gemäß § 116 Abs. 2 PatG zulässig ist, wenn der Beklagte (hier die Patentinhaberin) mit der Änderung einer von der erstinstanzlichen Beurteilung abweichenden Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs Rechnung trägt und den Gegenstand des Patents auf dasjenige einschränkt, was sich nach Auffassung des Bundespatentgericht schon aus der erteilten Fassung ergab (BGH-Urteil vom 28. Mai 2013 – X ZR 21/12, Walzstraße). Hingegen kann die hilfsweise Verteidigung des Streitpatents mit geänderten Ansprüchen in der Berufungsinstanz regelmäßig nicht mehr als sachdienlich im Sinne von § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG angesehen werden, wenn die Beklagte dazu bereits in erster Instanz Veranlassung gehabt hätte. Ein solcher Anlass zur zumindest hilfsweise beschränkten Verteidigung kann sich daraus ergeben, dass das Bundespatentgericht in seinem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis mitgeteilt hat, dass nach seiner vorläufigen Auffassung der Gegenstand des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen dürfte (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 – X ZR 111/13, Telekommunikationsverbindung).

Vorliegend wurde in dem neu vorgebrachten geänderten Anspruchssatz das Merkmal weiter ausgebildet, welches in der Vorinstanz vor dem Bundespatentgericht als nicht ursprungsoffenbart angesehen worden ist, was dem Patentinhaber in der Mitteilung gemäß § 83 Abs. 1 PatG mitgeteilt wurde. Angesichts des Hinweises des Bundespatengerichts hatte die Patentinhaberin keine Veranlassung, das Merkmal um weitere Zusätze zu ergänzen, die zur Bejahung der Patentfähigkeit hätten führen können. Folglich ist die Verteidigung des Patents mit dem erstmals in der Berufungsinstanz vorgelegten Anspruchssatz zulässig. Ferner stellt der Bundesgerichtshof fest, dass das Merkmal, das in der ersten Instanz als nicht ursprungsoffenbart angesehen worden ist, unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung für den Fachmann den ursprünglichen Unterlagen entnehmbar gewesen ist.

Nichtdestotrotz stellte der BGH eine mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des neuen Anspruchs 1 fest.

Fazit:

Mit diesem Urteil wird wieder einmal aufgezeigt, wie viel Wert auf eine fachgerechte und qualitativ hochwertige Ausarbeitung einer Patentanmeldung gelegt werden sollte, um Schwierigkeiten hinsichtlich des Offenbarungsgehalts von vorneherein zu vermeiden. Ferner bestätigt der BGH mit diesem Urteil, dass eine Änderung in einem Nichtigkeitsverfahren vor dem Berufungsgericht durchaus möglich ist, wenn die Patentinhaberin nachweist, dass ihr dazu während der ersten Instanz keine Veranlassung gegeben worden ist.