Kategorien

IP-NEWS

BGH: Rechtsschutzinteresse bezüglich unabhängiger Ansprüche und nebengeordneter Ansprüche im Patentnichtigkeitsverfahren

Entscheidung X ZR 96/18 „Datenpaketumwandlung“

In der kürzlich veröffentlichten Entscheidung in der Patentnichtigkeitssache „Datenpaketumwandlung“, verkündet am 11. August 2020, hat sich der Bundesgerichtshof mit der Frage befasst, ob eine Nichtigkeitsklage zulässig ist, wenn sie auf der einen Seite auf einen unabhängigen Anspruch und auf der anderen Seite auf nebengeordnete bzw. abhängige Ansprüche gerichtet ist, der Nichtigkeitskläger von der Nichtigkeitsbeklagten im parallelen Verletzungsverfahren aus dem unabhängigen Anspruch verklagt wurde und zwischenzeitlich das Streitpatent ausgelaufen ist.

Der Entscheidung des BGHs lag eine Beurteilung des Bundespatentgerichts zugrunde, wonach eine Nichtigkeitsklage insofern als unzulässig zu erachten sei, als dass sie auch auf unabhängige und nebengeordnete Ansprüche gerichtet war, aus denen die Nichtigkeitsklägerin im parallelen Verletzungsverfahren nicht in Anspruch genommen wurde und zwischenzeitlich das Streitpatent aufgrund seines Alters ausgelaufen war.

Konkret wurde die Nichtigkeitskläger aus Anspruch 21, einem Vorrichtungsgegenstand zur Datenpaketkomprimierung, im parallelen Verletzungsverfahren in Anspruch genommen. Neben dem unabhängigen Anspruch 21 sah der ursprünglich erteilte Anspruchssatz auch einen Anspruch 1 vor, der auf ein entsprechendes Verfahren zur Datenpaketkomprimierung gerichtet war. Das Bundespatentgericht kam zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 21 nicht dem Erfordernis der Neuheit genüge und insofern die Nichtigkeitsklage in Bezug auf Anspruch 21 zulässig ist und diesbezüglich erfolgt hat. In Bezug auf die Ansprüche 1 bis 20 und 22 bis 26, d. h. in Hinblick auf die nebengeordneten und abhängigen Ansprüche, wurde die Nichtigkeitsklage als unzulässig erachtet, da die Schutzdauer des Patents ausgelaufen war und die parallele Verletzungsklage nicht auf Gegenstände der abhängigen Ansprüche bzw. auf den Verfahrensgegenstand gerichtet war. Schließlich – so die Auffassung des Bundespatentgerichts – setzte die Zulässigkeit einer Klage ein Rechtsschutzbedürfnis voraus, was mit Ablauf der Schutzdauer nicht mehr bestehe.

In seiner Entscheidung kommt der Bundesgerichtshof zu einer anderen Schlussfolgerung, nämlich dass die Frage nach dem eigenen Rechtsschutzinteresse nicht nach allzu strengen Maßstäben beurteilt werden darf und dass im vorliegenden Fall ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf alle Patentansprüche bestehe.

Der Bundesgerichtshof begründet seine Auffassung damit, dass der Nichtigkeitskläger die Sorge haben muss, dass er auch nach Ablauf der Schutzdauer wegen zurückliegender Handlungen noch in Anspruch genommen werden könnte. Dies gelte insbesondere dann, wenn bereits eine Verletzungsklage vorliegt, die zum Ausdruck bringt, dass die Patentinhaberin, d. h. die Patentnichtigkeitsbeklagte, bereits ihren Willen gezeigt hat, Ansprüche wegen Verletzung des Patents durchzusetzen. Somit folgert der Bundesgerichtshof, dass es grundsätzlich ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf alle Ansprüche des Patents gibt, wenn bereits eine Verletzungsklage erhoben wurde. Dies gelte unabhängig davon, ob die Verletzungsklage nur auf einzelne Patentansprüche gestützt sei.

Im Falle von Nebenansprüchen enthält die Entscheidung des Bundesgerichtshof insofern eine Beschränkung, als dass sie den Hinweis gibt, dass das Rechtsschutzinteresse auch dann gelte, wenn die nebengeordneten Ansprüche inhaltlich weitgehend übereinstimmen mit dem Gegenstand des Anspruchs, aus dem die Klage erhoben wurde. In solchen Fällen ergäbe sich schon allein deswegen ein Rechtsschutzinteresse daraus, weil nicht auszuschließen sei, dass die angegriffene Ausführungsform die zusätzlich vorgesehenen Merkmale des nebengeordneten Anspruchs realisiere.

Neben den Einschätzungen zum Rechtsschutzinteresse in Bezug auf nebengeordnete und abhängige Ansprüche in einem Patentnichtigkeitsverfahren bestätigt das Urteil „Datenpaketumwandlung“ nochmals, dass erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigungen eines Patents in geänderter Fassung gemäß § 116, Absatz 2 PatG zulässige seien, wenn sich der neue Antrag von einem bereits in erster Instanz gestellter Antrag nur dadurch unterscheidet, dass einzelne der zur erteilten Fassung hinzutretenden Merkmale gestrichen worden sind.

Stephan Kratz